Ein malerischer Kosmos aus Stillleben

Ölgemälde von Michael Lassel in der European Art Gallery in Bukarest

Von Dr. Markus Fischer

Nach einer Anekdote, die der römische Gelehrte Plinius der Ältere in seiner „Naturgeschichte“ überliefert, gerieten einst die berühmten griechischen Künstler Zeuxis und Parrhasios darüber in Streit, welcher von ihnen am besten, d. h. am naturgetreuesten malen könne. Um zu entscheiden, wem von beiden der Vorrang gebühre, verständigte man sich darauf, dass jeder ein Bild mit Trauben anfertigen solle.

Als am Tag der Entscheidung dann Zeuxis sein Bild zeigte, waren die Trauben darauf so täuschend echt gemalt, dass Vögel darauf zuflogen und an ihnen zu picken begannen. Sich bereits als Sieger wähnend, bat Zeuxis seinen Kontrahenten, er möge jetzt seinerseits den Vorhang vor seinem Bild beiseite schieben und endlich auch sein eigenes Traubenbild enthüllen. Doch plötzlich fiel es Zeuxis wie Schuppen von den Augen und er musste mit einem Schlag seine Niederlage eingestehen: Parrhasios hatte nämlich den Bildvorhang gemalt, und zwar so täuschend echt, dass sogar ein Mensch, noch dazu ein Künstler, ihn für einen realen und nicht nur für einen gemalten Vorhang gehalten hatte, für die reine Wirklichkeit und nicht für das bloße Abbild.

Was diese beiden Maler der antiken Anekdote verbindet, ist ihre gemeinsame Kunstauffassung: Kunst ist nach ihrem Verständnis perfekte Nachahmung der Natur, Erzeugung von Illusion, Spiel mit dem Schein, Augentäuschung, Trompe-l’œil, wie der französische Ausdruck dafür lautet, der sich in der Kunstwissenschaft als Fachausdruck für diesen Malstil eingebürgert hat. Michael Lassel, von dem derzeit und noch bis Ende März 33 Ölgemälde in der Bukarester European Art Gallery zu bewundern sind, gehört einer modernen Variante jener Künstlerbewegung an, die die alte Tradition der Trompe-l’œilMalerei in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder aufleben ließ.

Nach dem Gründer Henri Cadiou und dessen Sohn Pierre Gilou stehen heute Künstler wie Guy-Christian Canat, Richard Gautier oder Daniel Solnon in der Tradition jener Malerschule „Trompe-l’œil de chevalet“. Zu ihnen zählt auch Michael Lassel, der 1948 im siebenbürgischen Ludwigsdorf/Logig geboren wurde, 1968 bis 1972 an der Bukarester Kunstakademie studierte, 1986 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, wo er seitdem in Fürth als freischaffender Kunstmaler tätig ist und sich nicht nur regional und bundesweit, sondern inzwischen auch international einen Namen gemacht hat.

Michael Lassels Kunst geht freilich in der perfekten Handhabung der malerischen Mittel nicht auf, sein Trompe-l’œil wird nicht zum Selbstzweck, wenngleich das Spiel mit der Illusion ein Charakteristikum seines künstlerischen Schaffens darstellt. So rätselt man bei der Betrachtung seiner Gemälde zum Beispiel, ob die Maserung eines Holzbrettes von der Naturbelassenheit des Materials herrührt oder ob der Maler das Stück Natur durch seine Kunst nur als solches zur Erscheinung bringt, oder man fragt sich verblüfft, ob der Fetzen rohe Leinwand, der am Rahmen eines Gemäldes herausquillt, echt ist oder nur gemalt. Doch dieses Changieren zwischen Schein und Sein, dieses Vexierspiel zwischen verschiedenen Perspektiven, ist gleichsam nur ein Propädeutikum für die Kunsterfahrung, die Lassels Werke mit ihren geradezu klassisch zu nennenden Bildkompositionen eröffnen.

Die malerischen Motive, die Lassel in seinen Gemälden mit bemerkenswerter Rekurrenz verwendet, entstammen der Stillleben-Tradition, insbesondere dem Vanitas-Stillleben des Barock. Man sieht Bücher, Musikinstrumente, Münzen, Spielkarten, Marionetten, Uhren, Brillen, Ruinen, Büsten, Skulpturen, Siegel und Medaillons, die auf die Vergänglichkeit alles Irdischen, die Unbeständigkeit der menschlichen Existenz, die Nichtigkeit von Macht und Ruhm sowie auf die Eitelkeit vergangener Größe hindeuten. Ergänzt werden diese barocken Vanitas-Motive durch moderne Symbole der Vergänglichkeit wie vergilbte Briefe, alte Postkarten, verblasste Fotos, veraltete Geldscheine und Antiquitäten aller Art, nicht zuletzt auch durch eine Seifenblase, wie Lassel sie in seinem Ölgemälde „Seifenoper“ (1996) genial gemalt hat: Aus einem Bild im Bild, das aber auch einen Spiegel darstellen könnte, blickt einem das Porträt eines Mannes entgegen, der mit Hilfe seines Atems und eines Halmes eine Seifenblase geformt hat, in der sich das Atelier und der porträtierende Künstler selbst spiegeln.

Überhaupt ist die sphärisch gekrümmte spiegelnde Oberfläche, wie wir sie etwa aus dem barocken „Stillleben mit Glaskugel“ (1625) von Pieter Claesz kennen, ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Gemälden Michael Lassels, so etwa in dem programmatischen Bild „Sphäre“ (2008), in dem sich das Innere eines gotischen Domes in einer Glaskugel widerspiegelt, die dort auf einer aufgeschlagenen Bibel ruht. Aber auch in den geschwungenen Rändern von Glasvasen, in Gläsern von Brillen und Pokalen, im blanken Metall der Schalltrichter von Trompeten und anderen Musikinstrumenten, in allem, was spiegelt und reflektiert, lässt Lassel seine grandiose Malkunst aufblitzen.

Der Vereinzelung von Gegenständen, welche gemeinhin in einem Stillleben scheinbar wahllos präsentiert werden, wirkt in Lassels Gemälden ein geradezu strenger Wille zur Komposition entgegen, der sich nicht selten in der malerischen Realisation architektonischer Phantasien manifestiert: Aus alten Büchern und Manuskripten baut Lassel ein „Pantheon“ (2007), bei dem Folianten zu Architraven werden und zusammengerollte Buchseiten zu Giebelvoluten; aus Flöten, Hörnern und anderen Blasinstrumenten werden „Dom I“ (2005) und „Dom II“ (2007/08) errichtet; die nach außen gekehrten Sohlen von Schuhpaaren formen nach Brueghels Vorbild den „Turm zu Babel“ (2001), der sogar schon im British Museum in London gezeigt wurde; der simultane „Bau und Verfall der Kathedrale“ (2003) lässt sich in der Ausstellung ebenso bewundern wie „Die große Kuppel“ (2001), das „Stillleben mit Arkaden“ (2005) oder die „Aedicula“ (2003), die aus einem Altartriptychon, Miniaturbüsten und einer Lupe geformt ist, in deren spiegelnder Fläche sich wiederum ein Bild des ganzen Raumes fängt.

Die an alte Meister gemahnenden Ölgemälde Michael Lassels sind ein Kosmos, der den Betrachter zunächst durch die Fülle seiner Details überwältigt, der ihm aber zugleich durch seine kompositorische Strukturiertheit und seine motivische Kohärenz ein Mittel an die Hand und ans Auge gibt, diesen Kosmos zu entschlüsseln und lesen zu lernen, in ihn einzutreten und allmählich mit ihm vertraut zu werden. Wer diesen Annäherungsprozess an die Kunst Michael Lassels über das Ende der Bukarester Ausstellung hinaus verlängern möchte, kann dies über die vorzügliche Homepage des Malers (http://www.lassel-michael.de) tun, über die man sich fast alle der in Bukarest gezeigten Gemälde, teilweise sogar mit Zoom-Effekt, ansehen kann. Sämtliche der in der Bukarester European Art Gallery (Bulevardul Regina Maria 18, nahe der Pia]a Unirii) gezeigten Bilder können außerdem käuflich erworben werden. Die Ausstellung ist dienstags bis samstags von 14 bis 19.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.
Ein malerischer Kosmos aus Stillleben Ölgemälde von Michael Lassel in der European Art Gallery in Bukarest Von Dr. Markus Fischer

Nach einer Anekdote, die der römische Gelehrte Plinius der Ältere in seiner „Naturgeschichte“ überliefert, gerieten einst die berühmten griechischen Künstler Zeuxis und Parrhasios darüber in Streit, welcher von ihnen am besten, d. h. am naturgetreuesten malen könne. Um zu entscheiden, wem von beiden der Vorrang gebühre, verständigte man sich darauf, dass jeder ein Bild mit Trauben anfertigen solle.

Als am Tag der Entscheidung dann Zeuxis sein Bild zeigte, waren die Trauben darauf so täuschend echt gemalt, dass Vögel darauf zuflogen und an ihnen zu picken begannen. Sich bereits als Sieger wähnend, bat Zeuxis seinen Kontrahenten, er möge jetzt seinerseits den Vorhang vor seinem Bild beiseite schieben und endlich auch sein eigenes Traubenbild enthüllen. Doch plötzlich fiel es Zeuxis wie Schuppen von den Augen und er musste mit einem Schlag seine Niederlage eingestehen: Parrhasios hatte nämlich den Bildvorhang gemalt, und zwar so täuschend echt, dass sogar ein Mensch, noch dazu ein Künstler, ihn für einen realen und nicht nur für einen gemalten Vorhang gehalten hatte, für die reine Wirklichkeit und nicht für das bloße Abbild.

Was diese beiden Maler der antiken Anekdote verbindet, ist ihre gemeinsame Kunstauffassung: Kunst ist nach ihrem Verständnis perfekte Nachahmung der Natur, Erzeugung von Illusion, Spiel mit dem Schein, Augentäuschung, Trompe-l’œil, wie der französische Ausdruck dafür lautet, der sich in der Kunstwissenschaft als Fachausdruck für diesen Malstil eingebürgert hat. Michael Lassel, von dem derzeit und noch bis Ende März 33 Ölgemälde in der Bukarester European Art Gallery zu bewundern sind, gehört einer modernen Variante jener Künstlerbewegung an, die die alte Tradition der Trompe-l’œilMalerei in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder aufleben ließ.

Nach dem Gründer Henri Cadiou und dessen Sohn Pierre Gilou stehen heute Künstler wie Guy-Christian Canat, Richard Gautier oder Daniel Solnon in der Tradition jener Malerschule „Trompe-l’œil de chevalet“. Zu ihnen zählt auch Michael Lassel, der 1948 im siebenbürgischen Ludwigsdorf/Logig geboren wurde, 1968 bis 1972 an der Bukarester Kunstakademie studierte, 1986 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, wo er seitdem in Fürth als freischaffender Kunstmaler tätig ist und sich nicht nur regional und bundesweit, sondern inzwischen auch international einen Namen gemacht hat.

Michael Lassels Kunst geht freilich in der perfekten Handhabung der malerischen Mittel nicht auf, sein Trompe-l’œil wird nicht zum Selbstzweck, wenngleich das Spiel mit der Illusion ein Charakteristikum seines künstlerischen Schaffens darstellt. So rätselt man bei der Betrachtung seiner Gemälde zum Beispiel, ob die Maserung eines Holzbrettes von der Naturbelassenheit des Materials herrührt oder ob der Maler das Stück Natur durch seine Kunst nur als solches zur Erscheinung bringt, oder man fragt sich verblüfft, ob der Fetzen rohe Leinwand, der am Rahmen eines Gemäldes herausquillt, echt ist oder nur gemalt. Doch dieses Changieren zwischen Schein und Sein, dieses Vexierspiel zwischen verschiedenen Perspektiven, ist gleichsam nur ein Propädeutikum für die Kunsterfahrung, die Lassels Werke mit ihren geradezu klassisch zu nennenden Bildkompositionen eröffnen.

Die malerischen Motive, die Lassel in seinen Gemälden mit bemerkenswerter Rekurrenz verwendet, entstammen der Stillleben-Tradition, insbesondere dem Vanitas-Stillleben des Barock. Man sieht Bücher, Musikinstrumente, Münzen, Spielkarten, Marionetten, Uhren, Brillen, Ruinen, Büsten, Skulpturen, Siegel und Medaillons, die auf die Vergänglichkeit alles Irdischen, die Unbeständigkeit der menschlichen Existenz, die Nichtigkeit von Macht und Ruhm sowie auf die Eitelkeit vergangener Größe hindeuten. Ergänzt werden diese barocken Vanitas-Motive durch moderne Symbole der Vergänglichkeit wie vergilbte Briefe, alte Postkarten, verblasste Fotos, veraltete Geldscheine und Antiquitäten aller Art, nicht zuletzt auch durch eine Seifenblase, wie Lassel sie in seinem Ölgemälde „Seifenoper“ (1996) genial gemalt hat: Aus einem Bild im Bild, das aber auch einen Spiegel darstellen könnte, blickt einem das Porträt eines Mannes entgegen, der mit Hilfe seines Atems und eines Halmes eine Seifenblase geformt hat, in der sich das Atelier und der porträtierende Künstler selbst spiegeln.

Überhaupt ist die sphärisch gekrümmte spiegelnde Oberfläche, wie wir sie etwa aus dem barocken „Stillleben mit Glaskugel“ (1625) von Pieter Claesz kennen, ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Gemälden Michael Lassels, so etwa in dem programmatischen Bild „Sphäre“ (2008), in dem sich das Innere eines gotischen Domes in einer Glaskugel widerspiegelt, die dort auf einer aufgeschlagenen Bibel ruht. Aber auch in den geschwungenen Rändern von Glasvasen, in Gläsern von Brillen und Pokalen, im blanken Metall der Schalltrichter von Trompeten und anderen Musikinstrumenten, in allem, was spiegelt und reflektiert, lässt Lassel seine grandiose Malkunst aufblitzen.

Der Vereinzelung von Gegenständen, welche gemeinhin in einem Stillleben scheinbar wahllos präsentiert werden, wirkt in Lassels Gemälden ein geradezu strenger Wille zur Komposition entgegen, der sich nicht selten in der malerischen Realisation architektonischer Phantasien manifestiert: Aus alten Büchern und Manuskripten baut Lassel ein „Pantheon“ (2007), bei dem Folianten zu Architraven werden und zusammengerollte Buchseiten zu Giebelvoluten; aus Flöten, Hörnern und anderen Blasinstrumenten werden „Dom I“ (2005) und „Dom II“ (2007/08) errichtet; die nach außen gekehrten Sohlen von Schuhpaaren formen nach Brueghels Vorbild den „Turm zu Babel“ (2001), der sogar schon im British Museum in London gezeigt wurde; der simultane „Bau und Verfall der Kathedrale“ (2003) lässt sich in der Ausstellung ebenso bewundern wie „Die große Kuppel“ (2001), das „Stillleben mit Arkaden“ (2005) oder die „Aedicula“ (2003), die aus einem Altartriptychon, Miniaturbüsten und einer Lupe geformt ist, in deren spiegelnder Fläche sich wiederum ein Bild des ganzen Raumes fängt.

Die an alte Meister gemahnenden Ölgemälde Michael Lassels sind ein Kosmos, der den Betrachter zunächst durch die Fülle seiner Details überwältigt, der ihm aber zugleich durch seine kompositorische Strukturiertheit und seine motivische Kohärenz ein Mittel an die Hand und ans Auge gibt, diesen Kosmos zu entschlüsseln und lesen zu lernen, in ihn einzutreten und allmählich mit ihm vertraut zu werden. Wer diesen Annäherungsprozess an die Kunst Michael Lassels über das Ende der Bukarester Ausstellung hinaus verlängern möchte, kann dies über die vorzügliche Homepage des Malers (http://www.lassel-michael.de) tun, über die man sich fast alle der in Bukarest gezeigten Gemälde, teilweise sogar mit Zoom-Effekt, ansehen kann. Sämtliche der in der Bukarester European Art Gallery (Bulevardul Regina Maria 18, nahe der Pia]a Unirii) gezeigten Bilder können außerdem käuflich erworben werden. Die Ausstellung ist dienstags bis samstags von 14 bis 19.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.